Momente des Menschseins


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Gedichte
Prosa
Gedanken

 

In der Kneipe

 

Eine Frau, 25 Jahre.

Eine verrauchte Kneipe im Glimmern der Stadt.

Sie hasst Kneipen, verlebt dort ihre Abende.

Wohin mit der Einsamkeit? Verdünnt in ein Glas Wein.

Die Welt erscheint im Schmerz. Ein süßer Schmerz, sie fühlt sich wohl dabei. Sie hat noch Mitleid.

Mitleid für sich, das wärmt sie auf.

Der Nebel der Nacht frisst die Zeit. Sie schielt in den Spiegel hinter der Theke.

Sie empfindet sich geheimnisvoll im Grau des Nebels.

In der Ecke sitzt ein Mann mit Zeitung. Sie liest keine Zeitung, hat zu viele Emotionen, braucht ihr Mitleid für sich selbst.

Sie findet Zeitungsleser abstoßend, falsches Gefühl für fremde, unbekannte Menschen.

Die Barfrau bläst Wolken in die Luft, sie sieht leer und verbraucht aus. Zwei Männer mit Bart an der Theke, ihr gegenüber.

Sie reden, reden über ihre Frauen. Ist das alles, was für sie zählt?

Sie verspürt einen Luftzug. Ein grauer Mantel steht in der Tür. Er hat ein ansprechendes Gesicht, aber zu große Ohren.

Warum sie darauf achtet?

In ihr steigt die Lust hoch, einen Menschen zu benutzen, ein Spiel mit ihm zu treiben.

Der graue Mantel scheint perfekt: adrett und in ihrem Alter. Er hat sich einen Platz gesucht. Sie kann ihn gut beobachten.

Er sieht zu ihr, während sie lächelt. Sie lacht ihn aus, aber das weiß er nicht, er lächelt zurück.

Sie setzt sich zu ihm, ohne ein Wort. Das macht ihn verlegen. Er heiße Marc und finde sie sehr schön.

Ein schrilles Lachen, sie ist belustigt. Sie denkt an ihn, wie er sie bitten wird, sie nicht fallen zu lassen, nicht so auf diese Art.

Sie genießt diesen Gedanken, sie genießt es immer, wenn sie sich überlegen fühlt. ER wird klein sein vor ihr.

Sie reden über das Leben in der Stadt, ob er die Stadt liebt? Man könne nur Menschen wirklich lieben.

Ja, nur sich selbst, denkt sie.

Er fühlt sich einsam kennt hier noch niemanden, ist froh um ihre Bekanntschaft. Sie wird ihm die Langeweile vertrieb,

natürlich vor allem sich selbst, aber das sagt sie nicht. Sie erzählt ihm von sich, oder von dem, was er von ihr wissen soll.

Man spüre gleich, dass sie verträumt sei. Er sitzt in ihrer Falle. Sie wäre genau sein Typ, er hat sonst immer Pech bei Frauen.

Aber mit ihr sieht er das anders.

Sie ist froh über seine Schnelligkeit, das erspart viel Zeit. Sie kann ihre entscheidenden Züge bald einsetzen.

Der Vorschlag, das Lokal zu verlassen, sie gehen an die frische Luft.

Der kalte Nebel zieht langsame Streifen. Sie merkt es nicht, denkt an ihren Triumph.

Sie hakt sich ein im grauen Mantel. Er geht behutsam, um sie nicht zu verlieren.

Er fühlt sich glücklich.

 

 

 

Der Marathonläufer

 

Die Spannung steigert sich auf ihren Höhepunkt. Der Startschuss zerreißt die unerträgliche Anspannung. Er läuft unter der Nummer 27.

Die Anzahl der Teilnehmer ist kaum zu überblicken. Ein Blick durch das Stadion zeigt Tausende von Menschen. Sie machen ihn nervös, diese starrenden

 aufgerissenen Augen der Zuschauer.Es kostet ihn Überwindung, sich wieder auf das Rennen zu konzentrieren. Das Tempo nicht übersteigern.

Den Körper noch nicht übermäßig anspannen. Er versucht die Kurve innen zu nehmen. Die anderen Läufer nimmt er kaum wahr.

Einmal der Sieger sein, den Kampf gewinnen. Sich selbst überwinden. Es würde sich alles ändern, das ganze Leben. Einmal nicht Verlierer sein.

Einmal den Kopf erhoben tragen. Sich selbst Bewunderung schenken. Etwas Großartiges vollbringen. Welch ein Traum, der wahr werden könnte.

Die Laufstrecke führt jetzt raus aus dem Stadion heraus und zieht sich durch die Straßen der Stadt. Eine kolossale Stadt. Was zählt das jetzt. Der Sieg

über diese Stadt, die Menschen, den Sieg über sich selbst. Wird der Sieg zum Glauben, zum Glauben an das eigene  Ich?

Er fühlt sich gut in Form. Erschöpfung ist noch nicht spürbar. Er hat sich jetzt von der Mitte abgesetzt und läuft an Ende der vorderen Gruppe mit. Wie lange

werden die Kräfte anhalten? Sein Wille ist noch stark. Wie lange wird er es bleiben? Wird er nicht wieder aufgeben, wie schon so oft, kurz vor dem Ziel?

Der Glaube an den Erfolg. Die Veränderung, die den Sieg bringen soll. Die Bestätigung, kein Verlierer zu sein oder die Bestätigung, immer ein Verlierer zu

bleiben. Gedanken, die quälen. Die anderen scheinen sich ihres Sieges sicher. Hass gegen die Konkurrenten? Zu wenig Kenntnis, um sie zu hassen. Angst vor

ihrem Triumph. Angst vor dem Blick, den sie Verlierern schenken. Aber diesmal ist es anders. Der Traum, den anderen dieses Gefühl zu geben. Nicht mehr allen

gleichgültig zu sein. Den Neid der anderen auf sich zu spüren. Bedeutet das Anerkennung? Würde man ihm Beifall schenken? Ehrlich gemeinten Beifall? Die Angst,

es könnte anders sein. Es wäre dann alles vergebens.

Seine Beine werden allmählich schwerer. Die Umgebung, die Straße, auf der er läuft, registriert er nur noch verschwommen. Die Sonne scheint seinen glänzenden

Körper zu verbrennen. Er hasst sich, wenn er schwitzt. Der Geruch ekelt ihn. Nach dem Sieg würde er sich nicht mehr hassen. Der Schweiß hätte sich

gelohnt. Die Möglichkeit eines Sturzes kurz vor dem Ziel. Peinliche Gefühle wären unvermeidlich. Sie würden ihn zerfressen, die Gefühle, die

ihn ständig quälen. Ist dieser ganze Lauf nicht sinnlos? Der Wille verliert seine Stärke, doch seine Beine laufen weiter, er spürt sie kaum noch.

Immer ein Fuß vor den anderen. Die Geschwindigkeit möglichst beibehalten. Die anderen sind zurückgefallen. Er läuft als erster. Er könnte der

Mittelpunkt des Geschehens sein. Was würde er darum geben! Die Beachtung würde ihm gebühren, nur ihm.

ER blickt zum Himmel. Weiße Wolken schieben sich vor die Sonne. Sehnsucht nach Ruhe. Einen Augenblick nur zu liegen, im Schatten eines Baumes.

Der Drang, etwas zu trinken. Wann wird der Körper aufgeben? Übelkeit zieht sich durch den ganzen Körper. Aber sein Wille festigt sich wieder.

Er kann es vollbringen. Dieses eine Mal wird er den Sieg erringen. Er wischt sich den Schweiß aus der Stirn. Wenn sein Körper dem nicht Stand hält?

Die Angst vor dem Tod. Die Unauffälligkeit seiner Erscheinung. Wer würde seinem Tod Beachtung schenken. Das Sterben als winzige

Regung des Lebens. Hat er jemals gelebt?

Verschwommen glaubt er das Stadion zu erkennen. Neue Kräfte sammeln sich in ihm. Das Ziel, an dem er so oft gezweifelt hat, es scheint zum Greifen nahe.

Ein Glücksgefühl fährt durch seinen ermatteten Körper. Der Körper als fremdes Wesen, das er kaum noch unter Kontrolle hat. Aber der neue Glaube an den Sieg.

Er beschleunigt seinen Lauf mit den letzten Energien. Unbehagen breitet sich wieder aus. Erst jetzt wird ihm bewusst, dass er vollkommen alleine läuft.

Das Stadion ist nicht mehr weit entfernt, aber kein Laut lässt sich vernehmen. Er läuft in das Stadion ein, völlige Stille. Das Ziel ist abgebaut, die Tribünen geräumt.

Schrei. Die völlige Erschöpfung.